Mit Ragdoll ist Daniel Cole ein sehr erfolgreicher Debütroman gelungen. Angeblich erschien der Roman in fast drei Dutzend Ländern, ist ein Bestseller und hat schon eine TV-Serienproduktion in Planung. Sehr schön, dass Cole in Interviews betont, dass Ragdoll zwar ausschaut, als wäre es sein Über-Nacht-Erfolg, er tatsächlich aber seit sechs Jahren gekämpft hat, überhaupt einen Verlag zu finden. Das relativiert den Erfolg dann doch wieder auf ein sympathisch ernüchterndes Mass.
Der Klappentext ist angsteinflössend und deutet schon klar an, dass es sich um harte Kost handelt. Ich habe vor lauter Angst, nicht mehr schlafen zu können, die Lektüre einige Wochen hinausgezögert. Ganz so schlimm ist die Geschichte dann doch nicht. Krank, ja. Hässlich, ja, wenn man sich das Gelesene jeweils bildlich vorzustellen versucht.
Im Wesentlichen geht es um eine Liste, die ein Mörder veröffentlicht. Darauf sind sechs Personen aufgeführt mit dem jeweiligen zukünftigen Datum ihrer Ermordung. Die Namen scheinen willkürlich zusammen gestellt, obwohl fast vom ersten Moment an fest zu stehen scheint, dass ein Zusammenhang da sein muss. Der letzte auf der Liste ist Wolf, ein äusserst umstrittener Detective der Metropolitan Police von London.
Die Liste der angekündigten Morde taucht im Zusammenhang einer Flickenpuppe (engl. Ragdoll) auf. Sie wurde aus menschlichen Teilen zusammengenäht und besteht aus einem männlichen Kopf, einem weiblichen Torso mit Arm, einem weiteren Arm und zwei unterschiedlichen Beinen. Wem die zusammengenähten Leichenteile gehören, ist anfangs ebenfalls unklar.
Die Polizei muss nun einerseits die Personen schützen, die auf der terminierten Mordliste stehen, andererseits herausfinden, wer die Toten sind, deren Teile für die Ragdoll verwendet wurden. Dann sollte rasch ein Zusammenhang hergestellt werden können, weil nur so ein Hinweis auf mögliche Täter entstehen kann.
Der erste angekündigte Mord geschieht, obwohl sich die Person in Polizweischutz befindet. Vor den Augen der Polizei und ohne dass diese eine Chance zur Verhinderung hätte, stirbt das erste Opfer. Das zweite Opfer wird in Schutzhaft genommen, stirbt aber ebenso termingerecht, wenngleich weniger spektakulär. Mehr Drama gibt’s dafür beim dritten Opfer, das der Serienkiller eliminiert.
Das steigert natürlich alles die Spannung. Man überlegt sich als Leser plötzlich, wie man als Polizei die Opfer noch schützen könnte, wenn die bisherigen Methoden offenbar kein Hindernis darstellten. Gleichzeitig macht sich eine Art Vorfreude breit, weil man unbedingt erfahren möchte, welche ausgefallene Methode sich der Autor für Nummer vier, fünf und letztlich Wolf ausgedacht hat. Allerdings sorgen die ersten drei Morde bzw. die Methoden, die dafür verwendet wurden, schon auch für Stirnerunzeln.
Wie konnte der Killer auch nur erahnen, dass das erste Opfer auf die Polizeistation genommen wird? Wie konnte er wissen, in welchem weiter entfernten Posten das Opfer Nummer zwei in Schutzhaft steckt? Und wenn diese zwei Fragen schon ziemlich erdrückend sind, so fällt mir beim dritten Fall schlicht nichts mehr ein, wie der Killer das glaubwürdig hätte schaffen können.
Das trübt zwar etwas den Gesamteindruck in Sachen Glaubwürdigkeit, aber wie gesagt, die Spannung bleibt erhalten. Beim Opfer Nummer vier habe ich dann aber doch kurz überlegt, ob ich überhaupt weiter lesen soll. In der da geschilderten Szene, bei der es dem Opfer an den Kragen geht, müssen so viele Zufälle herhalten, dass mir ein „Oh, nein, bitte nicht.“ entfährt.
Von diesem und ein paar wenigen anderen „Naja-Momenten“ abgesehen, wird die Geschichte wirklich spannend erzählt. Der Autor verzichtet auf weit verbreiteten Heldentypen, wie sie US-Autoren oftmals verwenden, die vom Nobody zum Hero mutieren und über sich hinauswachsend Fälle sozusagen im Alleingang lösen. Viel mehr lebt Coles Erzählung von den extrem unterschiedlichen Figuren, ihren Schwächen und ihrer verletzlichen Menschlichkeit.
Zudem entsteht echt erfreuliche Abwechslung durch die verschiedenen Geschehnisse und Perspektiven. Weil es nicht den einen Helden gibt, wird die Geschichte auch nicht einfach aus einer Sicht erzählt. Der Autor schildert die nächtlichen Recherchen von Edmunds, die ethischen Kämpfe (und Krämpfe) einer TV-Journalistin, die Labilität von Baxter, wie auch die Erlebnisse von Simmons oder Finlay. Und natürlich von Wolf, der so was wie die Hauptrolle zu haben scheint, auch wenn gegen Ende vieles nicht mehr ganz so eindeutig erscheint, wie es anfangs geschildert wird.
Gerade weil etliche Protagonisten zeitweise mehr Probleme und Schwächen als Stärken zu haben scheinen, ist der Roman sehr nahe an der vorstellbaren Realität. Nur die arme Polizei, die kriegt ihr Fett wohl mehr weg, als ihr lieb ist.
Wer übrigens beim vorletzten Absatz den Eindruck bekam, da wären sehr viele Namen erwähnt, hat nicht Unrecht. Es spielen einige Figuren eine wichtige Rolle. Das ist es anfangs durchaus nicht ganz einfach, den Überblick zu behalten. Mit der Zeit und der steigenden Anzahl Seiten kristallisieren sich aber die wirklich wichtigen Personen heraus und man kommt auch ohne Notizen damit zurecht, dass Ragdoll eben kein typischer Heldenepos ist, sondern das Team mit allen Stärken und Schwächen eine gute Geschichte ausmacht.
Ragdoll ist in meinen Augen ein gelungener Roman, der in gewissen Aspekten übertreibt, im grossen Ganzen aber äusserst vielschichtig, vielseitig und vor allem spannend ist. Einzig der Seite des Serienkillers wird enttäuschend wenig Platz eingeräumt. Wer darauf hofft, eine zufrieden stellende Auflösung der Motive des Täters zu erhalten, könnte möglicherweise enttäuscht werden. Es ist einfach so, wie es ist. Da wäre meines Erachtens noch etwas mehr möglich gewesen. Genau so wie beim Coverbild, das absolut überhaupt nichts mit dem Inhalt der Geschichte zu tun hat.
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